1922          Kath. Kindergarten St. Lorenz                 2022

 

100 Jahre Kindergarten St. Lorenz – ein Rückblick

 

100 Jahre – eine lange Zeit. Für unsere Kindergartenkinder kaum vorstellbar.

Vieles hat sich in den Jahren und Jahrzehnten seit der Gründung des Kindergartens verändert: Das Bild vom Kind und damit verbunden verschiedene pädagogische Strömungen und Erziehungsansätze, der gesellschaftliche Wandel, Wertvorstellungen und Lebensentwürfe und nicht zuletzt das Verhältnis zu Religion und Kirche. All dies und noch vieles mehr hat Auswirkungen auf das Leben mit Kindern sowohl in der Familie als auch in der Erziehungsarbeit in Kindergärten, Schulen und anderen sozialen Einrichtungen.

 

Die Pädagogik ist einem ständigen Wandel unterworfen – die Bedürfnisse der Kinder auch?
Heute gibt es ein breit gefächertes Spektrum, was das Angebot in vorschulischen Bildungseinrichtungen betrifft: Von Montessori-, Waldorf-, Natur- und Waldkindergärten bis hin zu Phorms, vom situations- oder subjektorientierten Ansatz, offenen oder halboffenen Konzept, Freilandpädagogik…ist die Rede. Eltern sollen oder dürfen sich vielmehr entscheiden, wo ihr Kind einen großen Teil des Tages verbringt und nach welchen pädagogischen Leitmotiven es erzogen wird.

 

Wie war es damals, 1922, als der Kindergarten gegründet wurde? Wie lebte und arbeitete man mit den Kindern? Welches Spielzeug/Materialien standen zur Verfügung? Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, wandte ich mich vor mehr als 20 Jahren (zum 80-jährigen Jubiläum des Kindergartens) an Frau Maria Buchenberg, die über 50 Jahre, davon 44 Jahre als Leiterin, im Kindergarten
St. Lorenz tätig war und bekam einen reichen Schatz an Informationen.

Der Kindergarten wurde im Jahr 1922 durch H.H. Geistlichen Rat Manseicher, Pfarrer in St. Lorenz, gegründet. Der Kindergarten wurde getragen vom
St. Vinzentius-Verein, der durch die Beiträge der eingetragenen Mitglieder unterstützt wurde. Die Beiträge der Eltern waren zu dieser Zeit sehr gering. Unser Kindergarten war von Anfang an einer der wenigen unter der Leitung einer weltlichen „Kindergärtnerin“. Fast alle Einrichtungen dieser Art waren zu der Zeit unter der Trägerschaft einer Ordensgemeinschaft mit Schwestern besetzt. Die erste Unterbringung der Kinder erfolgte im Gebäude Muspillistr. 5. Von 8.00 Uhr bis
12.00 Uhr und von 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr besuchten etwa 30 Kinder aus den Familien von Bauern, Handwerkern und Arbeitern wie Maurern, Ziegeleiarbeitern etc. den Kindergarten. Am Mittwoch Nachmittag war der Kindergarten geschlossen, am Samstag Vormittag geöffnet. Die Kinder verbrachten somit zunächst nur entweder max. 4 Stunden in der Vormittagsgruppe bzw. max. 3 Stunden in der Nachmittagsgruppe im Kindergarten. Das Mittagessen wurde in der Familie eingenommen.

Die Einrichtung war sehr einfach. Holzbausteine (meist Abfälle aus der Oberföhringer Schreinerei), Stofftiere, Kaufladen, Papierabfälle aus der Druckerei waren Spiel- und Beschäftigungsmaterialien für die Kinder, dazu noch Naturmaterial wie Steine, Tannenzapfen und Blätter. Schaukelpferd, Puppenküche, Schubkarren und Sandspielzeug waren eine große Bereicherung. Töpfe, Schüsseln, Deckel und Kochlöffel aus dem Haushalt der damaligen Kindergärtnerin dienten den Kindern im Alter zwischen 3 und 6 Jahren als Musikinstrumente.

Auf der Längsseite des Kindergartens stand auf einem breiten Mauerband in großen gothischen Buchstaben: „Kindergarten des Vinzentius Vereins“ (dieses Mauerband ist auch heute noch zu sehen).
Nach Pfarrer Manseicher kam Geistl. Rat Ludwig Attenberger, unter dem der Kindergarten in den niederen Anbau verlegt wurde, der bis dahin als Turnhalle für die Jugend eingerichtet war. Dieser Raum wurde zum größten Gruppenraum des Kindergartens. Anstelle der ersten „Tante“ trat 1926 Frau Ida Hierstetter ihren Dienst als neue Leiterin des Kindergartens an und prägte ihrer Wirkungsstätte eine neue Note auf – ganz nach der Pädagogik Friedrich Fröbels.

 

Friedrich Fröbel (1782 – 1852) war der Begründer des ersten deutschen „Kindergartens“ und führte die „Freiarbeit“ (Freispiel) in die Pädagogik ein.
Das Spiel als typisch kindliche Lebensform hatte für ihn einen großen Bildungswert.

Die Pädagogik F. Fröbels und seine von ihm entwickelten Spiel- und Lernmaterialien sind auch heute noch in der Erziehungsarbeit von großer Bedeutung.

So wurde Fröbel-Material, wie z.B. Baukästen, Legetäfelchen, Flechtblätter, Stickkarten und dergleichen mehr angeschafft. Zu den wenigen Bilderbüchern kamen neue hinzu, es gab Malkreiden und Wasserfarben. Triangeln, Trommeln und Cymbeln lösten das „Küchenorchester“ ab.

 

Alle religiösen Feste im Jahreskreis wurden mit den Kindern gefeiert.
Zur Johannisbeer-, Kirschen- oder Birnenzeit wurde der Tisch feierlich für diese Kostbarkeiten gedeckt. Im Winter waren natürlich Schneeballschlacht, Schneemannbauen und oft sogar rodeln angesagt, was zu damaliger Zeit auf dem noch ganz freien Gelände um die ehemalige Ziegelei möglich war. Die Natur, das freie Gelände rund um den ehemaligen „Dorfkern“, in dem sich der Kindergarten befand, waren neben dem Kindergartengelände Spielorte für die Kinder. Das Erleben der Jahreszeiten, Sinneserfahrungen in der Natur waren für die Kinder selbstverständlich und bedurften keiner dafür speziell angesetzten „Aktionstage“ oder „Projekte“.

Frau Maria Buchenberg, die schon seit 1939 im Kindergarten mitarbeitete, löste 1944 „Tante Ida“ als Leiterin ab.

In den Jahren nach dem Krieg herrschte große Armut, auch im Kindergarten.

Bis 1950 war die Zahl der Kinder auf 45 – 50 angestiegen – ohne Hilfskraft, heute unvorstellbar!

 

In den Jahren 1959/60 wurde unter Pfarrer Mühlegger ein neuer Anbau Wirklichkeit.

50 Kindergartenkinder wurden für 11 Monate in die 3-Zimmer-Wohnung des Mesners ausquartiert. Im Juli 1960 konnte der Neubau (Anbau an den bereits bestehenden Teil) bezogen werden. Weitere Bauvorhaben folgten, um die Vorschriften des Bayer. Kindergartengesetzes zu erfüllen: Der überdachte Freisitz wurde zu einem Gruppenzimmer, der Luftschutzkeller Gymnastikraum, die an den Kindergarten angrenzenden Wohnung wurde zum „Intensivraum“.

Erst nach Erfüllung all dieser notwendigen Auflagen wurden am 1. Januar 1978 vom Schulreferat der Landeshauptstadt München die endgültige Anerkennung und damit verbunden finanzielle Zuschüsse erteilt.

 

Mit großem Engagement  leitete „Tante Maria“ den Kindergarten über 4 Jahrzehnte. Die von ihr praktizierte Arbeitsweise gründete ebenfalls im Wesentlichen auf der Erziehungsphilosophie Friedrich Fröbels sowie auf der Basis christlicher Grundwerte. Viele der Gedanken dieses großen Pädagogen sind bis heute in unserem Kindergarten selbstverständlich. So war z.B. die maßgebende Grundlage der Kindergartenpädagogik für Fröbel, wie zuvor erwähnt, das SPIEL:

 

„Das Spiel dieser Zeit ist nicht Spielerei, es hat hohen Ernst und tiefe Bedeutung…
Spiele sind Herzblätter des ganzen künftigen Lebens:

Ein Kind, welches tüchtig, still, ausdauernd, bis zur körperlichen Ermüdung spielt,
wird gewiß auch ein tüchtiger, stiller, ausdauernder, Fremd- und Eigenwohl mit Aufopferung befördernder Mensch.“

 

Die Hauptziele der Pädagogik sind mit denen in der heutigen Kindergartenarbeit identisch: Die Förderung der Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung des Kindes sowie der Sinneswahrnehmung (das Greifen kommt vor dem „Be-Greifen“).

 

Frau Maria Buchenberg übergab 1988 die Leitung an Frau Ruth Mühlenmeister
(1988 – 1990), es folgten Frau Christa Schlothauer (1990 – 1998), Sr. Jutta Beck
(1998 – 2000) und seit 2000 Frau Martina Weiss.

 

Unter Pfarrer Bernhard Bienlein wurde der schon lange anstehende Neubau Wirklichkeit. Nach über 2 Jahren Unterbringung in Containern im Pfarrgarten während der Bauphase, konnten im Frühjahr 2005 über 70 Kindergartenkinder in den zweigruppigen Neubau bzw. eine Gruppe in den sanierten Teil im Altbau „einziehen“.
Seit dem 1.8.2005 ist das bayer. Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz (BayKiBiG) mit Ausführungsverordnungen in Kraft getreten, nach dessen Grundlagen sich die heutige Arbeit in den Kindergärten auszurichten hat.

In den letzten Jahren wurde überlegt, ob und wie man die im Altbau befindliche „Tigerentengruppe“ an das Haupthaus angliedern könnte.
Im Jahr 2021 hat die Kirchenstiftung St. Lorenz beschlossen, den Betrieb der Gruppe im Altbau bis Ende August 2022 laufen zu lassen und ab September 2022 aufgrund baulicher Mängel des gesamten Gebäudes einzustellen.
Somit verbleiben 2 Gruppen im Haupthaus.

 

 

Und was wünschen wir dem Kindergarten für die Zukunft?

Ich wünsche dem Kindergarten St. Lorenz vor allem immer wieder Menschen, die mit viel Liebe, Geduld, Kreativität und der nötigen Gelassenheit an ihre Arbeit herangehen, weil Kinder sich nur dort gut entwickeln können, wo sie sich wohl und geborgen fühlen und auch das hat sich über die Jahre nicht verändert…

 

Martina Weiss